[1907-1982]

Konstanty Regamey

Nach Józef Koffler und dem Komponisten Tadeusz Majerski aus Lwow, war Konstanty Regamey der nächste polnische Komponist, der die Zwölftontechnik anwandte, und das ausgerechnet zu der Zeit, als die meisten seiner Kollegen unter dem realsozialistischen Druck litten.
Paradoxerweise war es der Mangel an einem normalen Konzertleben in Warschau (Konzerte für Polen fanden nur in Cafés  und – heimlich – in Privatwohnungen statt), der den 33-jährigen Regamey veranlasste, ernsthaft mit dem Komponieren zu beginnen. Die beiden Meisterwerke, die er zwischen 1940 und 1944 schrieb (die PersischenLieder und das Quintett) wurden 1943 und 1944 in heimlichen Konzerten uraufgeführt. Witold Lutoslawski nannte das Quintett “eine sensationelle Uraufführung” und schrieb seinen unvergleichlichen Erfolg “der außergewöhnlichen Phantasie des Komponisten und der besonders individuellen Art der Anwendung von Schönbergs Technik” zu. Regamey wollte mit diesem Werk beweisen, dass die Dodekaphonie kein Stil, sondern nur eine Technik sei; das atonale Klarinetten thema im ersten Satz wird in den Variationen verwendet, die in verschiedenen Stilen komponiert sind, während der dodekaphonische zweite Satz provokatorisch den Titel Intermezzo romantico trägt, und das lebhafte Rondo Finale ist neoklassizistisch.

Regamey – Komponist, Musikschriftsteller, Pianist und Indologe, wurde 1907 in Kiew in eine Musikerfamilie gemischter Herkunft geboren (Schweiz, Polen, Russland, Italien…). Im Jahre 1920 floh er mit seiner Mutter aus der Ukraine, die vom Bürgerkrieg zersplittert war, und gelangte nach Warschau. Sein Vater (der ebenfalls Konstantin hieß), ein Pianist und Komponist Schweizer-Polnischer Abstammung,
der im von der Sowjet-Union annektierten Gebiet blieb, war Dozent am Konservatorium und Musikdirektor am Rundfunk von Kiew. Im Jahre 1937, auf der Höhe des Stalinistischen Terrors, wurde er verhaftet und nach einem Scheinprozess hingerichtet. Sein Sohn hat ihn nach 1920 nie mehr gesehen und auch nichts über Datum und Umstände seines Todes erfahren; diese Fakten konnte erst kürzlich der
Musikwissenschaftler Jerzy Stankiewicz aufdecken.
Als Kind erhielt Regamey Musikunterricht von seinen Eltern; statt eine Musikschule zu besuchen, nahm er Privatunterricht in Klavier und Harmonielehre. Nach dem Studium an der Warschauer Universität, der École des Hautes Études und dem Collège de France, und einem Doktorat (1935) in Indologie und vergleichender Grammatik
der indogermanischen Sprachen, wurde er als Professor an die Universität von Warschau berufen. Zu dieser Zeit wurde Regamey zu einer Führungspersönlichkeit unter den Schriftstellern und Kritikern, die sich für die neue Musik einsetzten. Er gehörte zu den Organisatoren des IGNM-Festivals, das im April 1939 in Warschau veranstaltet wurde, und im Juni 1939 wurde er als Vizepräsident des polnischen Zweiges dieser Gesellschaft wiedergewählt. Nach dem Kriegsausbruch war Regamey nicht weniger aktiv als in der übrigen Zeit seines Lebens. Er war Mitglied der Gesellschaft der Verborgenen Musiker und arbeitete an zwei Büchern (einer Geschichte der modernen Musik und einer Geschichte der Linguistik).
Sein Status als Inhaber eines Schweizer Reisepasses (geerbt von seinem Vater) machte ihn zu einem wertvollen Mitglied der geheimen Untergrundorganisation der polnischen Widerstandsbewegung. Obwohl es vom 10. Oktober 1939 an den polnischen Bürgern verboten war, ausländische Rundfunksender zu hören, und am 15. Dezember alle Radioempfänger beschlagnahmt wurden, blieb Regamey der
legale Besitzer eines Empfängers, und da er mehrere Sprachen beherrschte (Portugiesisch und Rumänisch waren besonders nützlich, da die englischen und französischen Sender von den Nazis gestört wurden), war er imstande, Berichte über die internationale politische Situation für geheime Informationsflugblätter zusammenzustellen. Auf seiner Wohnungstür brachte er das Zeichen des Schweizer Roten Kreuzes an und verbarg viele Flüchtlinge. Als jedoch sämtliche Besucher des Café Arkadia, in dem er damals spielte, verhaftet wurden, wurde auch er verdächtigt und musste seine Arbeit abbrechen. Als Kurier mit dem Pseudonym Drogowski beförderte er Waffen, Dollar und Mikrofilme, die zwischen der polnischen Exilregierung und den Kongressabgeordneten in der Heimat ausgetauscht wurden.
Seinen Lebensunterhalt verdiente er durch Klavierspiel in Cafés, ebenso wie dies Lutoslawski, Andrzej Panufnik und viele weitere hervorragende Musiker machten.
Nach dem Warschauer Aufstand – zwischen Ende September und Mitte Oktober 1944 war Regamey in verschiedenen Lagern – wurde er dank seiner Schweizer Staatsangehörigkeit von Stutthof in Übergangslager geschickt, und dann wurde er entlassen, um seine Papiere beim Schweizer Konsulat in Berlin zu holen. Um den 20. November1944 herum kam er in der Schweiz an und wohnte bis 1988 in Lausanne,
wo er erfolgreich als Indologe und ebenso in einem gewissen Umfang als Komponist arbeitete, obwohl seine beiden großen Opern bislang nicht aufgeführt wurden.
Regamey selbst erklärte das Nebeneinander verschiedener Stile in den zuvor genannten Werken und die Rolle der Musik für einen Komponisten in den tragischen Jahren des besetzten Polen so: “Ein Künstler, der ständig dem Tode nahe und sich zugleich dessen bewusst ist, dass sein Stück das letzte und vielleicht sogar das einzig
überlebende ist, fühlt sich herausgefordert, in diesem einen Werk alles zu sagen.”

Katarzyna Naliwajek-Mazurek PhD
Mitglied des Musikwissenschaftlichen Instituts der Warschauer Universität.
2009 Feicht-Preisträger der Abteilung Musikwissenschaftler des Polnischen
Komponistenverbandes (Dissertation über die Musik und Ästhetik von Regamey)


Bibl.: Prof. Jürg Stenzl (Wien/Salzburg) : Musik aus dem Warschauer Widerstand
Folkwang Studien, Band 8, 2009, Georg Olms Verlag, S. 293-362.